Wie könnte eine solche Demokratisierung des Prozesses erreicht werden? Eine Option wäre ein europäisches Vertragsänderungsverfahren von unten. In zahlreichen Kommunen könnten sogenannte „demokratische Handelskonvente“ organisiert werden, wie sie von der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung entwickelt wurden: Aus der Gemeindebevölkerung werden 50 bis 100 Bürgerinnen und Bürger entweder nach der Methode der Bürger- und Bürgerinnenräte ausgewählt, delegiert oder direkt gewählt. Diese bearbeiten in einem „liquiden“ deliberativen demokratischen Prozess – im lebendigen Austausch mit der gesamten Bürgerschaft – die 20 Grundsatzfragen für den Handel und bereiten sie in mehreren Alternativen auf. Frage Nummer eins zum Beispiel könnte lauten: „Welchen Stellenwert hat Handel?“ Die Antwort-Optionen könnten lauten: Handel ist Selbstzweck („Freihandel“), Handel ist abzulehnen („Protektionismus“), Maximierung der Exporte, Minimierung der Importe („Merkantilismus“) oder Handel ist Mittel zum Zweck der Umsetzung der Menschenrechte und nachhaltiger Entwicklung („Ethischer Handel“). Die Optionen zu jeder Frage werden am Ende des Konvents von der gesamten Gemeindebevölkerung „systemisch konsensiert“, das heißt, auf ihren Widerstand gemessen. Es gewinnt derjenige Vorschlag, der den geringsten Widerstand erfährt.
Als Ergebnis steht das Meinungsbild der Kommune zur EU-Handelspolitik. Nun hat die Kommune keinerlei politische Kompetenz auf dem Gebiet der Außenhandelspolitik – ist aber davon massiv betroffen: von der öffentlichen Beschaffung über die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen bis zur Versorgung von Arbeitslosen vor Ort und Migrantinnen wie Migranten, die die „Freihandelskriege“ in ihren Herkunftsländern verloren haben.
Es geht um anderen Regeln als beim Freihandel: Ethischer Handel dient den Werten und Zielen der Staatengemeinschaft. Ich (Christian Felber) habe solche Grundsatzfragen versuchsweise an der Wirtschaftsuniversität Wien und in Vortragsforen durchgespielt. Die Ergebnisse – ethischer Handel ging als haushoher Gewinner hervor – bestärken mich, dass dem Souverän diese Aufgabe zuzumuten ist und dessen Entscheidungen zumindest weniger schlecht sein werden als die heutige EU-Außenhandelspolitik.
Die Zeit ist reif für eine Demokratisierung der Handelspolitik
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